Warum Donald Trump uns stärker BEEINFLUSST als wir es wollen
von Sebastian Morgner
Donald Trump beherrscht die Schlagzeilen. Kaum setzt er eine Nachricht auf Twitter, regt sich die halbe Welt darüber auf. Und seine Fans freuen sich. Kein politischen Akteur macht so effektiv von sich reden. Warum?

Ob wir es wollen oder nicht: Menschen sind soziale Wesen. Als Herdentiere ordnen wir uns ständig in Hierarchien und Gruppen ein und beobachten aufmerksam das Verhalten derer, die wir als Führungspersonen betrachten, beispielsweise des amtierenden US-Präsidenten. Das Verständnis von Sozialen Dynamiken ist eine Zukunftskompetenz von Führung. Wer damit umzugehen weiß, macht von sich reden, bekommt Aufmerksamkeit, löst Emotionen aus und kann so Menschen aktivieren, um seine Ziele zu erreichen.
Noch nie waren Menschen so einer Flut an Reizen und Informationen ausgesetzt wie heute. Und leider helfen die Mechanismen unseres Gehirns uns nicht immer dabei, damit souverän umzugehen. Tatsächlich ist es eine wichtige Erkenntnis der Sozialforschung und der Neurowissenschaften, dass wir Menschen gar nicht anders können, als uns ständig zu vergleichen. Wir ordnen uns Gemeinschaften ein und sind ständig darauf bedacht, darin unsere Rolle zu finden.
Je vielfältiger die Informationen sind, die wir dabei verarbeiten, desto schwerer fällt es uns, unsere Position zu finden. Gerade, wenn die Verunsicherung groß ist, sehnen sich viele Menschen nach einer starken Gemeinschaft, Klarheit und einfachen Antworten. Und das ist es, was Donald Trump seinen Fans gibt: das Gefühl, Teil einer großartigen Gruppe zu sein, die genau weiß, was richtig und was falsch ist. Und was der US-Präsident tatsächlich so gut macht wie kaum ein anderer: er kommuniziert engmaschig und direkt mit seinen Anhängern, Twitter sei Dank.
Haben Sie im Zusammenhang mit Führung schon mal über Neurotransmitter gesprochen? Nicht? Dann wird es höchste Zeit!
Wann spricht man schon mal über Hormone? In der Pubertät, wenn man verliebt ist, im Klimakterium oder wenn man eine Schilddrüsenunterfunktion hat. Dabei spielen Hormone eine zentrale Rolle. Der Begriff „Hormon“ kommt aus dem Altgriechischen: hormān hieß dort „antreiben/ erregen“. Unser Gehirn ist wie ein Computer. Es verarbeitet die Informationen, die wir über unsere Sinnesorgane aufnehmen, interpretiert sie und zieht daraus Schlussfolgerungen, die als Grundlage für unser tägliches Denken und Handeln und für unsere Entscheidungen dienen.
Für unser Thema kommt den Botenstoffen (Neurotransmittern) im Gehirn eine besondere Rolle zu. Diese neurochemischen Substanzen sorgen am synaptischen Spalt für die Informationsübertragung zwischen den Gehirnzellen und beeinflussen damit die Gehirnaktivität.
Das Faszinierende daran ist, dass die Regulation der Neurotransmitter davon abhängt, wie Menschen ihr Umfeld wahrnehmen und interpretieren.
Vier Substanzen spielen dabei eine herausragende Rolle:
Serotonin
Serotonin wird umgangssprachlich auch „Glückshormon“ genannt. Es gibt uns das Gefühl von Lebenswillen, Freude und Gelassenheit. Es dämpft negative Gefühle, reduziert Impulsivität und ist der zentrale Neurotransmitter im Kampf gegen die Depression. Ein gesunder Serotoninspiegel macht uns leistungsfähig und wirkt sich positiv auf unsere Sozialkompetenz aus.
Dopamin
Dopamin wird umgangssprachlich auch „Belohnungshormon“) genannt. Es wird ausgeschüttet, wenn wir den Eindruck haben, mit unserem Handeln ein wichtiges, übergeordnetes Ziel zu verfolgen und kleine Schritte auf diesem Weg erfolgreich zu meistern. Dopamin löst Gefühle wie Motivation und Zuversicht aus. Es spielt eine große Rolle in unserem Belohnungssystem und somit auch in unserem Suchtverhalten.
Soziale Dynamiken und zwischenmenschliche Interaktionen haben einen Einfluss auf unsere Dopaminaktivität.
Cortisol
Cortisol ist das Langzeit-Stress-Hormon. Es zeigt sich in Gefühlen wie leichter Aggression, Nervosität oder reduzierter Aufmerksamkeit. Weil es den Körper bei Dauerstress in Alarmbereitschaft versetzt und vitale Ressourcen anzapft, führt ein hoher Cortisolspiegel zu Erschöpfung, vorzeitigem Altern und sogar kognitivem Abbau. Eine langfristig erhöhte Cortisolkonzentration steigert das Risiko an einer Depression zu erkranken.
Noradrenalin
Noradrenalin ist ein Neurotransmitter und chemisch eng mit dem Hormon Adrenalin verwandt. Es bereitet unser Gehirn in akuten Situationen auf schnelle und effiziente Handlungen vor. Es schärft die Sinne, erhöht die Aufmerksamkeit und hilft Menschen, ihre Komfortzone zu verlassen und kurzfristig Energiereserven zu aktivieren.
Neurotransmitter haben also einen besonders starken Einfluss auf die menschliche Vitalität, unser Wohlbefinden und unsere Denk- und Handlungsfähigkeit.
In der Illustration sehen Sie schematisch zwei Personen in unterschiedlichen kognitiven Zuständen. Die linke Person leidet unter Dauerstress. Hier herrscht Alarm im Kopf. Das Bewusstsein droht zu überhitzen, weil zu viele widersprüchliche Gedanken und Empfindungen gleichzeitig darauf einprasseln. Deshalb ist der Cortisolspiegel hoch. Selbst einfache kognitive Tätigkeiten kommen dieser Person jetzt herausfordernd vor.

Die rechte Person ist in einem guten, vitalen Zustand. Sie fühlt sich lebendig, wichtig und kann sich gerade auf Ziele und Aktivitäten konzentrieren, die sie für sinnvoll hält.
Nun hängt die Art und Weise, wie Menschen auf bestimmte Informationen reagieren, stark von ihrer Persönlichkeit und ihrer Einstellung zum Leben ab.
Was bei Trump-Fans zu Serotonin- und Dopamin-Ausschüttungen führt, bringt seine Gegner zur Verzweiflung. Sie ärgern sich über seine Ignoranz und Rücksichtslosigkeit und machen sich Sorgen über die Zukunft. So oder so hat er mit seinen zugespitzten Botschaften mehr Macht über unsere Gedanken und Gefühle, als das manch einer von uns gerne möchte. Das ist zwar lediglich eine vereinfachte, schematische Darstellung. Dennoch hilft das Bewusstsein für die Wirkung des Führungsverhaltens auf andere ungemein, wenn man Menschen – und damit Strategien – in Aktion bringen möchte.
Wie kann Führung soziale Dynamiken nutzen, um Transformationen erfolgreich zu meistern?
Was für Donald Trump auf der politischen Bühne gilt, gilt auch für Vorstände, Geschäftsführer, Abteilungs- und Teamleiter.
Die Unsicherheit auf der politischen Bühne findet auch im heutigen Wirtschaftsleben ihr Pendant.
„Geben wir‘s doch zu – uns allen geht der Allerwerteste auf Grundeis, wenn wir an die digitale Transformation denken“,
sagte vor einigen Wochen der IT Vorstand eines großen Finanzdienstleisters, als er sich mit Vorständen anderer Unternehmen zu einem vertraulichen Kamingespräch traf. Fast alle Kollegen reagierten mit einem schweigenden Kopfnicken.
Die digitale Transformation verändert massiv die Art und Weise, wie Organisationen funktionieren und Menschen zusammenarbeiten. Vielerorts spürt man die latente Nervosität und Unruhe. Viele Menschen sind verunsichert, fühlen sich nicht qualifiziert genug für die kommenden Herausforderungen, haben Angst vor ihrer beruflichen Zukunft. Und das mit messbaren Konsequenzen: psychische Erkrankungen haben im vergangenen Jahrzehnt um +40% zugenommen. Heute sind sie die zweithäufigste Diagnosegruppe bei Arbeitsunfähigkeit (BKK Gesundheitsreport 2018). Allein die Krankheitskosten für psychische Erkrankungen betragen fast 45 Milliarden Euro pro Jahr (Statistisches Bundesamt 2017). Dabei ist die mentale Leistungsfähigkeit ein zentraler Wettbewerbsfaktor in einer Ökonomie, die zunehmend von Innovationskraft und geistiger Wertschöpfung abhängt.
Wenn ich in Führung gehen möchte, muss ich der allgegenwärtigen Reizüberflutung etwas entgegensetzen und aktiv daran arbeiten, dass die Menschen in meinem Umfeld trotz Unsicherheit, Komplexität und vieler Interessenkonflikte sich in einem mental guten Zustand befinden. Beobachtbares Führungsverhalten hat dabei einen großen Einfluss auf das Stresslevel der handelnden Akteure.
Serotonin wird ausgeschüttet,
- wenn es eine inspirierende und anschauliche Vision gibt.
- wenn ich meinen Beitrag zum großen Ganzen kenne
- wenn mir meine Rolle und meine Ziele klar sind und ich mich befähigt fühle, diese auch eigenständig umzusetzen
- wenn ich mich als Teil einer starken Gemeinschaft fühle.
Dann habe ich als Akteur das Gefühl, an einer wichtigen Mission teilzuhaben, meine Sinne sind geschärft und ich fühle mich als anerkanntes Mitglied meiner „Herde“.
Dopamin wird ausgeschüttet...
- wenn ich das Gefühl habe, auf dem richtigen Weg zu sein,
- wenn ich dazulerne und meinen Verantwortungsbereich vergrößern kann,
- wenn ich auch kleine Erfolge bewusst feiere und mich über den Fortschritt freue.
So fühlen sich Sportler, die auf einen Wettkampf trainieren, nach einer gut verlaufenen Trainingseinheit.
Noradrenalin ist das „Lampenfieber“-Hormon. Das empfinden wir, wenn wir kurzzeitig unsere Komfortzone verlassen müssen, aber ein klares Konzept haben, wie wir die Situation bewältigen können.
Die Art, wie das Management in einem Unternehmen agiert, hat direkte Auswirkungen auf den Hormonhaushalt der gesamten Organisation. Deshalb gibt es Firmen, die während bestimmter Umbruchphasen wie gelähmt sind, während in anderen die positive Energie förmlich zu spüren ist.
Wenn sich das Management bei wichtigen Transformationsphasen mit externen Beratern im „Elfenbeinturm“ einschließt und eine neue Strategie entwickelt, ohne die Belegschaft kontinuierlich zu informieren, fühlen sich die Betroffenen ausgeschlossen, bedroht und machtlos. Unsicherheit, Gerüchte und Spekulationen setzen die gesamte Organisation unter Dauerstress. Das Gehirn bereitet den Körper auf einen langen, entbehrungsreichen Kampf vor. Wir werden nervös, fühlen uns manchmal entmutigt, in der Opferrolle, von den Umständen getrieben. Wenn das Management hingegen die Mitarbeiter*innen von Anfang an einbindet, wenn es regelmäßige Updates gibt und alle eingeladen werden, Vorschläge einzubringen und ihre Perspektive zu teilen, dann fühlen sich die Betroffenen als Beteiligte. Es geht weniger darum, vorschnell Lösungen zu verkünden oder es allen recht zu machen.
Mehr als das Ergebnis ist das Vorgehen entscheidend: es geht darum, Kolleg*innen aktiv nach ihren Einschätzungen und Ideen zu fragen und diese mit Wertschätzung zu würdigen. Dann richtet sich das kollektive Denken trotz aller Sorgen auf die vom Management gestellten Fragen und löst einen konstruktiven Dialog aus. Serotonin- und Dopaminwerte steigen, weil die Belegschaft das Gefühl hat, einen Beitrag zu leisten und in kleinen Schritten die Zukunftsfähigkeit der Organisation zu erhöhen. Das Empfinden von „Empowerment“ stellt dem möglicherweise unvermeidbaren Dauerstress ein positives Element entgegen.
Die agile Philosophie berücksichtigt viele wissenschaftliche Erkenntnisse, wie man Menschen in einen guten motivierten Zustand bringt: sie legt großen Wert auf eine gemeinsame Vision, auf konkrete, erstrebenswerte Ziele, auf Rollenklarheit und Transparenz im Prozess. All diese Elemente unterstützen einen guten Einfluss des Arbeitsumfeldes auf die Wahrnehmung und damit den Hormonhaushalt der Beteiligten. Agile Führung ist damit eine zentrale Kompetenz, mit der Organisationen sich fit für die künftigen Herausforderungen des digitalen Zeitalters machen können.
So kann man Menschen auch bewegen, wenn man nicht Donald Trump heißt.
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Über den Autor:

Sebastian Morgner ist Mitbegründer und Partner des MLI. Er unterstützt als Experte für Leadership und Strategieentwicklung Management Teams bei der Klärung und Aktivierung wichtiger strategischer Inhalte. Ihn fasziniert die Frage, wie Ziele und Strategien in den Köpfen der Akteure ankommen und konsequentes Handeln auslösen. Kontakt: s.morgner@leadership-munich.org