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Jedes gute Business ist ein Social Business

Judith Dada und Sebastian Morgner trafen den Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus am Rande der Stiftungstagung der UN Foundation in einem edlen Genfer Hotel. Dort sprachen sie mit ihm über Fortschritt. Und wie so oft, wenn man mit weisen Menschen im Austausch ist, offenbarte der indische Geschäftsmann und Sozialunternehmer im weißen traditionell indischen Gewand eine zutiefst agile Denkweise.

Von Sebastian Morgner und Judith Dada

Morgner: Lieber Professor Yunus, was bedeutet Fortschritt für Sie?

Yunus: Fortschritt ist immer relativ zu einem Referenzpunkt. Er muss sich auf etwas beziehen – auf meine Zielrichtung. Man muss immer zunächst klären, wo man hinmöchte. In Bezug auf diese Welt muss man zunächst die sozialen und wirtschaftlichen Ziele klären. Wir wollen Armut beenden, oder wir wollen eine Welt schaffen, in der es keine so starken Einkommensunterschiede mehr gibt. Heute haben die reichsten 85 Familien der Welt so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Wir müssen zunächst die Kriterien definieren, an denen wir Fortschritt messen wollen. Und wir müssen unsere eigenen Fähigkeiten daran messen, diesen Fortschritt auch zu erzielen. Das Problem der menschlichen Gemeinschaft ist, dass es sehr unterschiedliche Vorstellungen im Hinblick auf erstrebenswerte Ziele gibt.

Morgner: Was war so ein Fortschritt in Ihrem Leben?

Yunus: Ich habe versucht, im Finanzsektor einen Unterschied zu machen. Ich habe mich auf arme Frauen konzentriert, habe eine Organisation – die Grameen Bank – geschaffen und eine Methode entwickelt, um nachhaltig Finanzdienstleistungen anzubieten, die dann als „Mikrokredite“ bekannt wurden. Diese Leistungen hatten eine Reichweite, die mich sehr zufriedenstellt. Heute gibt es Mikrokredite überall auf der Welt. Das ist eine gute Nachricht. Die schlechte Nachricht: Es dauerte 40 Jahre, bis sich die Mikrokredite so ausgebreitet haben. Leider ist kein inklusives Banksystem entstanden, in dem niemand ausgeschlossen wird und jeder eine Chance hat, am System zu partizipieren. Und dann habe ich ein anderes Geschäftsmodell geschaffen. Die ganze Welt jagt heute nach Geld, sie ist profitorientiert. Geschäfte machen heißt heute: Geld machen. Ich glaube, dieses System missdeutet das menschliche Wesen. Es geht davon aus, dass wir selbstsüchtig und egoistisch handeln. Das ist der falsche Weg. Menschen sind nicht nur egoistisch. Menschen sind eine Kombination von vielem. Sie haben eine egoistische und eine selbstlose Seite. Unser Wirtschaftssystem negiert den selbstlosen Teil. In einer selbst bezogenen Wirtschaft mache ich alles nur für mich: Ich möchte reich und berühmt werden. In einer selbstlosen Welt mache ich alles nur für andere. Ich habe in Bangladesch Social Businesses aufgebaut. Heute gibt es sie in vielen anderen Ländern, in Albanien, Brasilien, Mexiko, Haiti, Indien, Uganda, Tunesien und so weiter. Ich hoffe darauf, dass ein nennenswerter Teil der Wirtschaft soziale Businesses wird, und auch ein sichtbarer Anteil der Investitionen weltweit in solche Geschäftsmodelle investiert wird. Die jungen Menschen lieben es.

Dada: Sie sprechen über junge Menschen…

Yunus: Ja, jetzt ist er draußen (zeigt auf Sebastian und lacht).

Dada: Was sind Ihrer Meinung nach die Schlüsselfaktoren, auf die es ankommt? Was sollte die junge Generation tun?

Yunus: Zunächst möchte ich Sie als Vertreterin der jungen Generation daran erinnern, dass Sie alle zwar wie normale Menschen aussehen – aber Sie sind anders. Ganz anders. Es ist in der Menschheitsgeschichte noch nie vorgekommen, aber Sie sind aufgrund des technologischen Fortschritts zu Super-Menschen geworden – auch wenn Sie normal aussehen. Sie haben unbegrenzte technologische Möglichkeiten – unfassbare Macht. Zunächst müssen Sie sich darüber klar werden, wie groß die Macht ist, die Sie haben. Sie können die gesamte Welt verändern und brauchen niemanden sonst dazu. Sie müssen sich zunächst fragen: Was wollen wir mit dieser Macht tun? Wie wollen wir sie nutzen? Wenn wir die Macht haben, die Welt grundlegend zu verändern, welche Art von Welt wollen wir? Dafür sollten sich junge Menschen die Zeit nehmen.  Sie sollten sich hinsetzen und aufschreiben: Was sind die Eigenschaften der Welt, die ich gerne hätte? Wenn sie es aufschreiben, wird es passieren. Es könnte eine Welt sein, in der niemand mehr ohne Beschäftigung ist. Es ist eine Schande, dass so viele junge Menschen ihr Potenzial nicht ausleben können, weil sie keine Arbeit haben. Sie sollten das bestehende System hinterfragen, wenn es ihnen nicht bietet, was sie brauchen. Ein System hat kein Recht, seine Bürger zu bestrafen. Die Bürger sollten das System bestrafen. Sie müssen ein System schaffen, in dem sie sich als menschliche Wesen verwirklichen können. Heute sind viele Menschen gefangen, sie leben in einem künstlichen System und hinterfragen es nicht, sie halten es für normal. Dieses System müssen junge Menschen herausfordern. Sie sollten ein System schaffen, in dem Menschen das tun können, was sie tun wollen. In meiner Welt hätte jeder eine Beschäftigung. Und ich würde sie zu einer sicheren Welt machen. Junge Menschen sollten das aufschreiben und an die Wand hängen, so dass sie es jeden Tag sehen. Damit sie sich täglich eine Welt vorstellen, wie sie sein könnte. Alles fängt mit einer Vorstellung an, einer Vision.

Dada: Wie sollten sich Menschen in einer erstrebenswerten Welt fühlen – und welche Rolle sollte Technologie dabei spielen?

Yunus: Heute heißt es „digitale Zukunft“. Morgen kann es etwas anderes sein. Wir wissen es nicht. Die Systeme verändern sich. Völlig neue Systeme werden kommen. Aber das ist nicht die Frage. Die entscheidende Frage ist: für welchen Zweck? Technologie gibt es. Aber wird sie sicherstellen, dass es keine kranken Menschen mehr gibt? Vielleicht brauchen wir künftig keine Ärzte mehr. Vielleicht analysiert in einigen Jahren der Computer unser Blut. Ein Arzt vergisst vielleicht eine wichtige Frage oder übersieht einen wichtigen Aspekt. Ein Computer vergisst nichts. Er hat Zugriff auf alle relevanten Informationen. Vielleicht verschreibt uns der Computer direkt die notwendigen Zusatzstoffe, und wir bekommen diese nach Hause zugestellt – bevor wir krank werden.

Morgner: Eine spannende Utopie. Eine Welt, in der Technologie viele Jobs übernimmt. Aber da stellt sich doch die Frage: Was tun die Menschen dann in Zukunft? Womit verdienen sie ihr Geld?

Yunus: Sie werden es herausfinden. Mein Job ist es, Probleme zu lösen. Also löse ich sie. Es kommen neue Probleme. Die müssen dann andere lösen. Freizeit, Schlafen und Nichtstun – das entspricht nicht dem menschlichen Wesen. Leben heißt: entdecken. Das ist das menschliche Wesen – explore! Menschen können das sehr gut!

Dada: Welche Charakteristiken und Fähigkeiten müssen Anführer in unserer Zeit mitbringen, um die anstehenden Herausforderungen zu lösen?

Yunus: Die gleichen Eigenschaften wie Anführer zu allen Zeiten. Wer ist ein Anführer? Jemand, der weitersieht. Er kann Informationen schneller und ganzheitlich verarbeiten. Er kann andere in die richtige Richtung führen, weil er neue Möglichkeiten erkennt. Ein Leader ist derjenige, der eine Grenze verschiebt. Er braucht das Bild von einer besseren Welt vor seinem inneren Auge und die Absicht, diese Welt auch zu verwirklichen. Dann muss er die Menschen um sich inspirieren, mit ihm in diese Richtung zu gehen: seine Familie, die Menschen in seiner Gemeinde, Gleichgesinnte auf der ganzen Welt. Und alles für einen Zweck. Am Anfang muss man sich für den Zweck seiner Mühen entscheiden. Und jetzt kommen Technologie und kreative Kraft zusammen. Wir Menschen sind voll von kreativem Potenzial. Je mehr wir es nutzen, desto kreativer sind wir. Wenn man es nicht nutzt, geht es verloren. Wenn man kreativ ist, passiert etwas. Und auf dem muss man dann weiter aufbauen. In der profitorientierten Wirtschaft verkauft man Wasser mit Zucker, das Menschen krank macht, oder Zigaretten, die sie süchtig machen. So etwas existiert nicht im Social Business. Dort ist der Zweck nicht, möglichst reich zu werden, sondern etwas Gutes für andere zu tun. Deshalb sollte jedes Geschäft ein soziales Geschäft sein. Ein Geschäftsmodell, das nicht dabei hilft, die Lebensverhältnisse von Menschen zu verbessern, ist überflüssig.

Morgner: Sie sitzen ja heute mit dem Stiftungsrat der Vereinten Nationen zusammen. Wenn Sie zwei globale Initiativen bestimmen dürften, die die Menschheit wirklich weiterbringen, welche wären das?

Yunus: Erstens würde ich die jungen Menschen erreichen, aufklären und ihnen ihre Stellung als Super-Menschen bewusst machen. Ich würde sie einbinden und technologisch weiterbilden. Und zweitens würde ich weltweit soziale Geschäftsmodelle fördern. Wer eine Idee hat, wie er anderen helfen kann, sollte niemals am Geld scheitern. Ich würde viele Fonds gründen, denn wenn junge Menschen Ideen haben, die etwas verändern, sollten sie diese ohne finanziellen Druck umsetzen können. Da darf es nicht immer heißen: Mach Geld damit, mach noch mehr Geld, mach Rendite. Das macht uns Menschen irgendwann verrückt!


Veröffentlicht in Leadership Stories am 13.09.2023

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